Inmitten des Alltags ergibt sich kaum Zeit, sich mit dem Vergangenen zu tun zu haben.
Trotzdem erfüllt das Vergangene meinen Kopf immer wie ein Meer.
Am Strand der Erinnerungen weht eine frische Brise und die Wellen rauschen sanft.
Zarte Erinnerungen schwellen allmählich in meinem Kopf an.
Das sanfte Lächeln meiner Großmutter mit dem Muttermal um den Mund, die eine Schürze trug und mich jeden Tag in den Kindergarten schickte.
Der Duft des gelben Rapsfeldes, zu dem mich mein Großvater auf dem Rücken seines Fahrrads brachte.
Das orangefarbene Licht der lang anhaltenden Sonne, die am palmengesäumten Strand in Italien im fernen Meer versinkt.
Fremde Geschichten, die sich auf einem glühenden Fluss von der Höhe einer riesigen alten Burgruine aus spiegeln.
Ein schönes, knabenhaftes Mädchen aus einem fremden Land, flink wie ein Panther, weitsichtige Neugier in den Augen verinnerlichend.
Der Schimmer am Ende des langen Tunnels meines eigenen kommenden Lebens, gesäumt von Ängsten, zugleich erfüllt von unsterblicher Hoffnung.
Aber das Meer der Erinnerungen wütet.
Die Dunkelheit kriecht an meinen Füßen lautlos und die schluchzende Luft umgibt mich.
Kein Licht ist zu sehen und der Wind hört auf zu wehen.
Ich fühle mich erstickt und schaue mich ängstlich um.
Dann höre und sehe ich etwas in der Dunkelheit rühren.
Wie um meiner Angst entgegenzuwirken, schweben schattenhafte Gestalten wie ein Phantom dahin.
Plötzlich strahlt es ein regenbogenfarbenes Licht aus mit einem Hauch von Nostalgie.
Freunde aus der Kindheit tummeln sich auf der Straße.
Ich sehe mich selbst, wie ich mit ihnen spiele und von Zeit zu Zeit laut schreie.
Schelmische Jungen scherzen miteinander.
Im Scheinwerferlicht neben der Dunkelheit sehe ich mich selbst, wie ich mit meinen Klassenkameraden Puppenspiele einstudiere.
Die erste Liebe, der ich auf dem Weg aus der Schule eine Weile heimlich folgte, verschwand in einer kleinen Gasse.
Wie Morgentau in der Sommersonne sind sie nun verpufft.
Ich frage mich, wie sich ihr Leben seither gestaltet hat.
Ich frage mich, ob sie manchmal Zeit haben, sich an diese gemeinsame Zeit zu erinnern.
Die Erinnerungen an das Erwachsenalter liegen mir so nah, dass sie auf mich bedorohlich loszukommen scheinen.
Unaufhaltsam emporkommende beißende Erinnerungen.
Wie ein Ouroboros dreht sich eine Kette von dummen Verwirrungen um mich herum und quält mich.
Niedergeschlagenheit über meine Naivität und Unreife.
Zeit, die ewig vergeudet und verloren war.
Die Anhaftung an die Vergangenheit droht mich eine hohe Klippe hinunterzustürzen.
Die Reue schwelt in jeder Brust.
Die Scham sitzt tief unterirdisch und brennt unauslöschlich.
Oft hat man das Gefühl, schreiend zurückzulaufen, um von vorne anzufangen und es wirbelt wie ein riesiger Tornado.
Wie ein wütender Drache steigt es zum Himmel hinauf, der bedeckt von dicken schwarzen Wolken ist,
Dann schlägt es mit Gebrüll Pfeile von Blitzen ins Meer und schüttelt den Meeresboden mit bergiger Gischt.
Ich weiß, dass es mich immer lauert,
Aber im Nu würde es sich in einen dunklen und bodenlosen Sumpf verwandeln, aus dem man nie wieder entkommen könnte.
Es liegt mir immer zu Füßen, bedeckt mit schönen Blumen und einer duftenden Brise.
Viele geben sich ihm hilflos hin,
Und sie wissen genau, dass es irrsinnig ist.
Es war unwiderruflich geschehen.
Aber blinde Seele hört nicht der sanften und klugen Stimme in uns zu.
Widerstandslos wird man von sinkendem Schlamm verschlungen.
Trauern die Verschluckten am Boden des Sumpfes des Untergangs
oder verhöhnen sie ihre Tat am Endpunkt ihres Lebens?
Wohl hatten sie nicht einmal Zeit, zurückzublicken.
Aber war es ein zufälliger Untergang?
Für sie war das Vergangene nicht mehr nur ein von vielen Ereignissen, sondern wuchs zu ihrer Person.
Es wurde für sie jetzt ein einziger Wert, ein Herrscher und ein Diktator.
Die frühere Welt hat ihren Sinn verloren und das Vergangene herrscht als Prinzip der Welt.
Das Meer der Vergangenheit bricht über das Fluttor herein, vermischt sich mit der Gegenwart,
und die Ordnung der Zeit bricht zusammen.
Alles wird hinuntergeschwemmt in eine kosmische Zeit.
Die Welt wird zu dem Einen.
Ich und die anderen sind verschmolzen, ich regiere jetzt die Welt und die Zeit.
Die Welt ohne Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Gegenwart
war das, was sie begehrt hatten.
In höchster Euphorie fühlen sie sich glücklich, nicht mehr über die unverfügbare Vergangenheit zu klagen.
Die Antinomie ist überwunden und sie sind zum einzigen Herrscher der ganzen Welt geworden,
Auch wenn sie die anderen an den Rand des Todes treiben würden.
Aber jede Diktatur geht früher oder später zu Ende,
was ein unabänderliches Schicksal dieser Welt ist.
Ein Diktator hat auch ein endliches Leben, genau wie jeder andere Mensch oder sogar ein kürzeres.
War der Mensch, der die Bedrohung durch den Sumpf abwenden konnte, glücklicher?
Sicherlich lebt er Tag für Tag mit Geschicklichkeit und hält sorgfältig Abstand zur Vergangenheit.
Er verbringt seine Tage scheinbar in Frieden.
Aber sein heimlicher Durst nach der Vergangenheit brennt nach wie vor unbewusst wie eine Glut unter der Asche.
und das Vergangene entfernt sich wie ein funkelnder Diamant,
Weit weg, außerhalb der Reichweite der Ewigkeit.