Abschied 11

Als Yu am ersten Tag in Istanbul an einem Einstufungstest teilnahm, konnte er kein Wort verstehen. So ließ er sein leeres Antwortbogen liegen auf dem Tisch, ohne seinen Namen zu schreiben. Nach der Prüfung warf ein junger Mann im nächsten Sitzplatz einen kurzen Blick auf Yus Papier und lächerte ihm an. So Yu fragte ihn auf Deutsch, wie die Prüfung war. Der Mann sagte, dass er auch gar nicht verstanden hat. Die beiden lachten laut. Er war Krankenpfleger aus Holland und wollte einen Monat Urlaub hier verbringen. Er setzte fort, dass er noch keine Unterkunft hat. Da merkte Yu selbst, dass er auch keine hat. Dann sprach eine junge Frau, die daneben ihnen zuhörte, die beiden an, ob sie Zimmer suchen und sagte, dass sie und ihre Freunde gerade ein Apartment gefunden haben und es noch einige freie Zimmer gibt, und sie fugte hinzu, dass sie die beide dahin bringen würde, wenn sie wollten. Während sie redeten, gesellte sich ihnen ein junger Mann im Anzug mit einem riesigen Rucksack mit einem langen Regenschirm. Er soll Student an Cambridge Universität sein und begann Holländisch mit dem Holländer zu sprechen. Am Ende fuhren sie alle mit der Fähre von der europäischen Seite nach der asiatischen und landeten an Kadıköy. Schwankend auf und ab schlug die Fähre hohe Wellen kräftig mit Begleitung mit vielen Möwen, die von den Fährgästen Futter erwarteten. Yu fühlte sich, als ob er ein Teil der fremden Geschichte geworden wäre, zumal sie durch alte Gassen mit alten zerfallenden Gebäuden zu Fuß gingen. Schließlich haben sich der Holländer und Yu beschlossen, ein Zimmer zu teilen, im gleichen Gebäude der deutschen Frau. Seitdem gingen diese Gesellschaft immer zusammen aus.

Jeden Tag fuhr Yu mit dem Holländer mit der Fähre zur Schule. Manchmal rief er Deniz an von einer öffentlicher Telefonzelle am Ufer von Haydarpaşa, die oft nicht funktionierte. Dazu noch war es sehr schwierig, sie zu erreichen, weil es nur ein Telefonapparat auf einer Etage in ihrem Studentenwohnheim gab. Deutschland schien von hier weit entfernt zu liegen. Zwei Wochen vergingen, seitdem er hierher kam.

In der Nacht träumte er einen langen Traum. Er befand sich in einem offenen Restaurant mitten in einem großen Garten eines Hotels. Leichte Dunkelheit schloss alles weitgehend um, orientalische Musik war leise zu hören. Die Hitze von der heißen Nachmittag haftete noch der Haut an, jedoch liess manchmal wehende frische Brise Flammen von großen weißen Kerzen auf jedem Tisch flimmern, was die vagen Gesichter der Sitzenden reflektierte. Als Yu durch ein Geräusch zurückblickte, sah er Deniz mit einem Baby in den Händen, während sie mit einer anderen Frau auf Türkisch redete. Am Tisch im Vordergrund saß Deniz‘ Vater, der mit älteren Männern mit Bart rauchend und trinkend plauderte. Einige Gruppen tanzten fröhlich im Garten. Wenigstens zwanzig oder dreißig Leute saßen am Tisch. Er hatte keine Ahnung, was für eine Sammlung sei, jedoch konnte er vermuten, dass es sich um eine Party für das Baby handeln muss, das wohl von Deniz und ihm ist. Auf dem Tisch vor ihm stehen Bier- oder Rakı-flaschen, türkische Süßigkeiten oder Obst. Der Wind bringt ab und zu einen Duft von Parfüm zu ihm.

Yu wunderte sich, wo er ist. Im fernen Hintergrund sah er einige hohe Gebäude, so dachte er, dass es Deutschland sein müsste. Plötzlich wandte Deniz sich zu ihm und sagte, dass er den Säugling halten soll, und ging weg. Er war noch nicht sicher, ob es wirklich ihr Baby sein könnte. Jedoch unter Berücksichtigung aller Umstände gab es keine andere Möglichkeit, als dass es um sein Baby ging. Als er seine Hände streckte und den Säugling in die Hände nahm, war er viel schwerer als er dachte. Als er ihn am Schoß nahm, stieg der Duft des Babys auf, was ihn überzeugte, dass es das Baby zwischen Deniz und ihm war. Vor Freude umarmte er das Baby fest und küsste es auf den Stirn und die Wangen. Es schläft noch, gewickelt in einem blauen sanften Seidentuch. Es sah wie einige Monaten alt aus. Yu dachte, dass die Sammlung eine Party für Bekanntmachung für das Baby sein musste. Jedoch wusste er noch nicht, ob es im türkischen Brauch erlaubt ist, vor der Hochzeit ein Baby zu haben. Weder wusste er nicht, ob Deniz und er schon verheiratet ist. Seit wann wohnen die beiden zusammen? Er konnte sich gar nicht erinnern.

Da kam der Vater zu ihm mit Raki in der Hand und bot ihm das Glas an. Yu war erschrocken. Der Vater sprach ihn lächelnd an und sagte auf Deutsch, dass Yu es gut gemacht hat. Yu glaubte, dass er ihn schon mal gesehen hat, jedoch nicht sicher, weil sein ehemaliger Schnurbart vollkommen rasiert war. Der Vater setzte fort, dass es für ihn nicht glücklicher ist, als erstmal seit 20 Jahren in Deutschland sein eigenes Enkelkind sehen zu dürfen und dass er ein großartiges Fest in seiner Heimat in diesem Sommer feiern würde. Yu erinnerte sich an den Ort, wo er wohl mehrere Male gewesen sein müsste. Sogar tauchte in ihm „der Rote Fluss“, der so riesig wie ein Meer von sich schlängelnden gewaltigen Gebirgen mit einem herrlichen Panorama fließt, unendlich sich erweiternde Sommenblumenfelder wie gelbes Flammenmeer oder eine rot brennende Brücke über den von Hunderten Vögel gescharten Fluss in Abenddämmerung auf, obwohl er unsicher war, ob er selbst diese Szenen wirklich gesehen hätte. Waren sie nur von ihm erfundenes Gedächtnis?

Denis‘ Vater war guter Laune und stellte Yu verschiedene Fragen, wie was er ist oder was er werden wollte. Zusammenstotternd antwortete er, dass er noch studiert und nach dem Studium eine gute Arbeit finden werde. Ohne missgelaunt zu werden, sagte er, dass das ihm nicht macht, wenn es ihm Zeit kosten würde, das Studium abzuschließen und dass er dazwischen ihm gerne helfen würde. Dann kam der ältere Bruder von Deniz zu ihnen. Er hatte etwas in seiner Hand und überreichte Yu eine rote Tasche aus Stoff, sagend, dass er sie nicht mehr brauchen würde. Yu guckte sie und nahm das Innere heraus, dann erschrak. Das war ein Krummschwert. Als Yu den Bruder hinschaute, grinste er. Ihm lief kalter Schweiß.

Plötzlich wurde die Musik unterbrochen. Sich wundernd, wo Deniz sein kann, drehte Yu sich zurück. Der Lärm von Leuten, der gerade bis jetzt den Raum überfüllt war, trat in die Dunkelheit zurück. Dann begann das Baby laut zu weinen, dessen Gewicht Yu sehr schwer fiel. Er wachte endlich in seinem dunklen Zimmer auf.

Am nächsten Tag rief Yu Deniz an. Der Telefon kam seltsamerweise durch. Nachdem sie lange plauderten, wollte er auflegen, dann sagte sie in ernster Stimme, dass er gleich nach Deutschland zurückkommen sollte. Sie hatte den Grund dafür nicht gesagt. 

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