Begegnung 20

Der Zug Orient Express, obwohl er kein prachtvoller Zug mehr wie früher, fuhr von München ab  und sollte durch Wien, Budapest, Belgrad und Sophia nach Istanbul fahren. Trotz zweitägiger Fahrt hatte er keinen Speisewagen. In einer Abteilung, wo Yu saß, waren zwei Frauen im mittleren Alter aus Jugoslawien und ein amerikanisches Ehepaar. Yu hatte am Bahnhof einige Käsebrötchen und Getränke gekauft. Am Sonnenuntergang hatte er Hunger und fing an, zu essen, wie alle andere. Das Ehepaar sah doch unruhig aus und ging eine Weile hin und her im Zug. Der Mann fragte Yu, ob es weder Speisewagen noch Im-Zug-Verkauf im Zug gab. Yu verneinte. Dann sagte der Amerikaner, dass sie kein Essen hatten, weil sie Abendessen im Zug-Restaurant erwarteten. Die beiden waren ratlos. So gab Yu ihnen die Hälfte von seinem Essen, das sie dankend und freudig akzeptierten. Die zwei Frauen sagten, dass sie in Deutschland arbeiteten und im Urlaub auf den Weg nach Hause waren. Der Zug überschritt die Grenze zwischen Ungarn und Jugoslawien. Plötzlich veränderte sich die Landschaft von grünen Wäldern zu öden weißen Bergen. Der Zug hielt an einigen Bahnhöfen, wo kaum Gebäude zu sehen waren, stattdessen warteten Leute, alt und jung, dem Gleis entlang mit den streckenden Armen. Die Fahrgäste hielten Bananen oder Plastikbeutel durch die Fenster zu den Händen der Bettelnden hin, dessen Anblick Yu sehr schockierte, weil er nie so was gesehen hatte. Er dachte, dass das die reale Welt, die er wissen musste sein sollte. Die Welt war so anders konstituiert und geteilt und die, die er kannte, war nur ein Teil der Welt.  

Als der Zug sich nach Belgrad näherte, war es schon nach Mitternacht und Fahrgäste schliefen. Kaum dass der Zug in Belgrad anhielt, gab es eine laute Durchsage, die sagte, dass es Passkontrolle geben würde. Sobald der Zug anhielt, traten mit Maschinengewehr bewaffnete Beamte in den Zug ein und begannen Reisepass zu kontrollieren. Durch dies unerwartetes Geschehen waren die meisten erschrocken. Erstmal fühlte Yu direkt nackte Staatsgewalt eines autoritären Staates. Erinnernd an die bettelnden Leuten am Bahnhof dachte Yu, dass der Staat lange nicht richtig zu funktionieren schien. Von Belgrad fuhr der Zug an Sophia vorbei. Langsam sahen die Fahrgäste beruhigt aus. Über viele Kilometer verbreitete sich nun goldene Sonnenblumenfelder vor Augen und schmale weiße Zirruswolken am fernen blauen Himmel waren zu sehen. Der Name des Films vom gleichen Titel tauchte in Yu auf. Auch in diesen Ländern liebt und leidet man wie bei uns, dachte Yu. Jedoch müsste es nicht einfach sein, denn Liebe braucht auch Freiheit. Bald fuhr der Zug über die Grenze in die Türkei. In Aufregung trat der Zug in die alten Stadtteile von Istanbul ein. Yu blickte durch das Fenster nach hinten. Der Zug fuhr sich schlängelnd in Sirkece in Abenddämmerung ein.  

Als Yu von dem Bahnhof herauskam, sah die ehemalige legendäre Osmanische Hauptstadt anders aus als Yu sich vorgestellt hatte. Freilich war sie nicht mehr von riesigen golden Moscheen mit schönem Marmor umgeben und voll von elegant bekleideten Männern mit Turban auf dem Kopf und Frauen mit Hijab in traditionalen Kleidern besetzt war, geschweige denn dass keine fliegenden Teppiche in der Luft zu sehen waren. Istanbul war eine übrige Stadt, die man überall in der Welt finden könnte. Hektisch ging man in gewöhnlichen Kleidern wie im Westen und die Luft roch nach Abgasen, die von stauten Autos ausgespuckt war. An den Straßen entlang anstehenden Souvenirgeschäften sah man grell gefärbte Produkte angeboten. Auch außen und innen von Restaurants waren voll von jungen Rucksacktouristen aus Europa. Von der nüchternen Realität enttäuscht, ging er durch enge Gassen in die Stadtmitte. Die Wände der alten Gebäude sahen so aus, jede Zeit zusammenzufallen. Jedoch schienen sie sich gleichzeitig dagegen widerzustehen, miteinander zusammenzufassen, um den Einsturz zu vermeiden, als ob sie das Gewicht der langen Geschichte noch austragen wollten, damit die Stadt noch lange leben könnte. Erodiert befleckte und von Wind und Wetter ausgesetzte Ziegelsteine oder Schmücke der Gebäude waren Zeugen der guten und schlechten Geschehen seit langem, jedoch müssten sie wohl eher schweigen als laut sprechen, weil sie zu viel zu sagen hätten. Sah Yu alles positiv wegen Deniz? Oder fühlten die meisten Touristen auf diese Weise? In solchem Gedanken versunken wandte Yu sich zu dem Großen Basar, denn der Ort erinnerte ihn irgendwie an die Geschichte von „Ali Baba und die vierzig Räuber“. Er stellte sich Haufen von Gold und Edelsteine in einer dunklen Höhle vor. Der Eingang des Bazars, der von unzähligen Geschäften belagert war, war so schlicht und unauffällig, dass er daran fast vorbeiging. Sobald er in das Innere des Basars eintrat, war er von Glanz von Licht verblendet. Goldschmücke oder Juwelen im Schaufenster warfen reflektierend das Licht in alle Richtungen, dazwischen gingen viele Leute hin und her.

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