Begegnung 19

Manchmal fühlte Yu sich als einen Fremden, der unerwartet in einen brausenden Strom verschluckt wurde. Einmal hatte er sich ironischerweise als ein Betroffener in der realen Welt gefühlt, als ein Mann ihn aus der Disko in Ostdeutschland jagen wollte, weil er ihm eine echt menschliche Seite in Form von Ärger zeigte. Diesmal war Yu nicht ein Fremder, sondern ein Protagonist, der eine Hauptrolle spielte, und zwar in der schlimmsten Weise. In ihm gab es zwei verschiedene Selbst: ein frühes und ein gegenwärtiges. Das frühe Ich wollte teilnahmslos von allen diesen Ereignissen so leben, als ob nichts geschah, und bald heimkehren und in Japan arbeiten. Das andere wollte sich selbst abschaffen und sich an die neue Welt anpassen. Es wollte vollkommen neue Verhältnisse ausbauen und eine andere Denkweise entwickeln.        

Dies zwei Selbst hatte auch zwei verschiedene Zeiten. Das eine sah sich in Kirschblütenregen im Frühling, hörte lautes Zirpen von Zikaden im heißen Sommer, fühlte einen langsamen Verlauf der Zeit in leicht schneebedeckter Landschaft des Winters. Da sollte das Leben einfach und problemlos laufen, weil man vertraute Sprache spricht und in vertrautem Ort lebt, wo eigene Ahnen lange lebten und wohl eigene Kinder irgendwann auch leben würde. Das andere befindet sich in schönen Sommertagen mit bunten Sonnenlicht unter grünen Wäldern und in tief wolkenverhangen, trüben und kalten Wintertagen, wobei man in einem fremden Milieu allen neu Tauchenden immer Aufmerksamkeit schenken und sich an sich ständig verändernden Verhältnissen anpassen müsste, damit sich ein fragiles Leben nicht zusammenbrechen würde. Jedoch sah das Leben im Heimatland für Yu so blass aus. Dort sah er keine Erfüllung. Es scheint ihm wie ein Schloss aus Sand zu sein, der, trotz seines Versuchs, den Sturz zu verhindern, pausenlos durch seine Finger bis zum letzten Korn auslaufen würde. Dagegen sah das andere Leben voll von erfüllter Zeit, Erstaunen und Spannung, und auch in Gegenwart von Deniz.    

Wenn Yu in einer vollkommen fremden Welt leben sollte, musste es eine große Herausforderung für ihn sein. In einem neuen Milieu Fuß zu fassen, ist nicht einfach. Jedoch wurde Deniz, ohne es beabsichtigen, seine Führerin und gab ihm Existenzgrund. Deutschland war freilich für sie Ausland, doch durch sie wurde ihm einen Platz vergönnt. Wo sie war, wurde sein Heimat. Sie befreite seine innere Grenze und gab ihm ein Gefühl von höheren Allgemeinheit. Er erkennt, dass sein Selbst nicht allein war, sondern immer von ihr begleitet war. Er war sicher, dass dies Gefühl von ihm nie verloren gehen würde, was auch immer geschehen würde.  

Einen kalten, verschneiten Morgen fuhr Yu zur Abwechselung Rad, da sah er Deniz auf dem Rad in der Nachbarschaft. Sie sah von Yu’s unerwarteter Erscheinung ein bisschen überrascht aus und versuchte, sich Yu gegenüber gleichgültig zu verhalten. Yu fragte sie, warum sie in der Kälte ausging. Dann sagte sie nur, dass sie sich von Yu von nun an distanzieren wollte. Yu wusste, dass sie sich wegen Schwermut neulich oft in ihrem Zimmer abgekapselte. Immer noch wusste er nicht, was er tun sollte. So ging er auch oft in der Kälte aus, um nach frischer Luft zu schnappen. Doch gingen sie schließlich zu einem Kebab-Geschäft zusammen und hatten ein halbes Hähnchen. Sie fuhren zusammen ins Zimmer von Deniz, wo sie kaltes Hähnchen zusammen aßen, ohne zusätzliche Suppe zu kochen, wie sie immer machte, als ob sie keine weitere neue Erinnerung machen wollte. Schwere Zeit zwischen ihnen dauerte bis zum Ende des Winters. Sie war mehr allein zu Hause als zuvor, als ob sie bitteres Arzneimittel des Abschiedes gegen ihren Willen verschlucken müsste. Jedoch, je näher der Frühling nahte und der Schnee schmolz, desto öfter sie mit Yu wieder ausging, als ob ihr Herz mit dem kommenden Frühling auch auftaute. Auf der braunen nassen Erde, die aus dem verschwindenden Schnee erschien, wehte der laue Wind, der Leute angenehm überraschte. Unzählige kleine Keime an Ästen und Zweigen machten den Leuten Mut, auch wenn es kein wahrliches Zeichen sein könnte. Deniz dachte manchmal, dass sie eventuell sogar in fernem Japan leben könnte.       

Sich in der Sackgasse befindend, hatte er plötzlich eine Idee, auf eine Auslandsreise zu gehen. So fragte er Deniz, ob sie mit gehen wollte. Jedoch zögerte sie. In der gegenwärtigen Lage konnte sie kaum jemanden erklären, dass sie mit Yu eine längere Reise machen sollte, gab es doch keine Veränderung in der Beziehung mit Yu und seine Frau. Auf alle Fälle wollte sie keine neuen Erinnerungen mit Yu mehr machen, die ihr später sicher Schmerz zunehmen würde. Yu dachte, dass es gut wäre, eine Weile eine Distanz untereinander zu halten, damit sie vielleicht ruhig an die Zukunft denken könnten. So entschied Zu sich allein eine Reise zu machen. Yu wollte gern Deniz‘ Heimat sehen. Er reservierte eine Fahrkarte von Orient Express.

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