Begegnung 14
Es war das, was sie für ihn getan hat, als ob es selbstverständlich wäre. Das Gefühl von reiner Treue und fester Entschlossenheit, das Yu von Deniz unleugbar empfand, drang durch seinen Körper hindurch. Yu erkannte, dass seine Teilnahme an ihrem Leben mehrere Leute verwickelte und ihr Leben erschwerte. Trotzdem stellten sie alle sich der Situation ehrlich gegenüber und versuchten die Lage realistisch überwinden. Je mehr Yu Deniz kannte, desto mehr erfuhr er am Leib, wie oberflächlich und sinnlos er sein Leben bisher vertrieben hatte. Wie viele Male hatte er sich Problemen seriös gegenübergestellte oder ob er dagegen selbst einmal stolze Entscheidung getroffen hatte? Ob er erlebensgefährliche Entscheidung treffen könnte, wie Deniz tat? Alle diese Fragen konnte er nicht bejahen.
Geboren wurde er ohne Besonderheiten, lebte ohne große Mühen und klares Ziel, noch heiratete ohne große Passion. Zwar litt er manchmal unter Familien oder Freunden, jedoch sah alles, was er hinter sich hatte, unwichtig aus, weil es sich eher um Narzissmus zu handeln schien als Rücksicht auf andere. Yu wunderte, wie Deniz ganz allein solch eine wichtige Entscheidung treffen konnte, was ihm über sein Verständnis hinausging. Es schien ihm, dass etwas Wesentliches ihm fehlte. Freilich fühlte er für sich Ärger und Scham, weil er nichts verändern konnte. Dazu noch stand immer mehr er unter Druck, dass er nächstes Jahr dieses Land verlassen sollte. Mit dem Ende des Stipendiums sollte das Visum ungültig werden. So würde er kein Einkommen. Unbarmherzige Realität stand ihm bevor. Solcher ängstliche Gedanke schien die beiden in die Dunkelheit wegzuschleppen.
Andererseits, wenn sie trafen, wurden sie von tiefer Glückseligkeit eingehüllt, als ob es nirgendswo Probleme gäbe. Deniz versuchte ab und zu Yu Türkisch beizubringen. Sie zeigte ihm ein kleines Deutsch-Türkisch Wörterbuch, das sie von einem frühen Deutschlehrer bekam. Das braun verfärbte kleine Buch in Streichholzschachtel-Größe war viel benutzt. Türkisch war für ihn eine völlig neue Sprache, jedoch inspirierte es ihn sehr. Er versuchte einige Wörter auszusprechen. Sie lächelte, da er sich an ihrer Sprache interessierte. Dann sagte sie, „Du sollst so aussprechen,“ und legte ihre Lippen auf seine und wiederholte die Aussprache mehrmals, so dass er die Bewegungen der Lippen nachfühlen konnte. Bald fingen sie einen langen Kuss an.
Beim guten Wetter fuhren sie Rad oder gingen sie spazieren. Die Stadt hatte ca. 300,000 Einwohner und war relativ groß in Deutschland. Um die Stadt herum gab es jedoch überall Grüne und man sah Felder und Hügel hier und dort. Wenn man einen sich schlängelnden Weg durch Felder wanderte, sah man Bauernhäuser und Arbeitende. Wälder färbten sich allmählich in September. In Winter sah man von dem Schnee bedeckten Hügel einen Überblick auf die Stadt, einen Ort, wo sie sich trafen, lebten und sowohl Hoffnungen als auch Ängste ihnen ständig vorkamen. Sie beobachteten den fernen Anblick des Hügels wie Astronauten vom Weltall. Die Stadt, jedoch, lag wie ein Fisch, das sich in einem tiefen Sumpf still und verborgen steckte. Trotzdem, wenn sie zusammen waren, fühlten sie sich so fröhlich, als wären sie in einem Vergnügungspark.
Im Winter fror Straßen fest und fast jeden Tag war der Himmel bedeckt. Graue Wolken hingen tief in der Stadt. Selbst wenn die Sonne schien, dauerte es nur einige Stunden. Das milchige Licht war kraftlos und die Schatten hier und dort wollte am Tag nicht verschwinden wie ein ungehorsames Kind, das in der Dunkelheit nicht heimkehren wollte. Licht und Finsternis verwalten uns. Die Finsternis bringt uns in Verzweiflung. Das Licht gibt uns Hoffnung. Die Finsternis lehrt uns die Tatsache, dass sich hinter der Pracht des Lichtes etwas Unheimliches steckt. Der Anfang eines neuen Lebens erzeugt eine strahlende Freude und man richtet seine Augen darauf, Jedoch, um es zum Erfolg zu führen, muss man durch die lange Finsternis tastend gehen. Dazu braucht man kluge Einsicht und schnelle Entscheidungskraft. Yu war bewusst, dass ihm solche Eigenschaften fehlten.