Begegnung 12

Deniz studiert Soziologie. Obwohl alles für sie neu war, schien sie sich gut mit ihren Klassenkameraden auszukommen und sich gegenseitig zu helfen. Eines Tages fragte sie, ob Yu an ihrem Seminar teilnehmen könne, weil sie ein Referat halten sollte. Yu hatte zur gleichen Zeit ein Seminar und war auch etwas verwirrt darüber, plötzlich in eine fremde Klasse zu gehen, so ging er schließlich nicht hin. Als er sie am nächsten Tag nach der Präsentation fragte, war sie nicht sehr zufrieden. Sie sagte, dass es vielleicht besser gelaufen wäre, wenn er da gewesen wäre. Yu bereute sehr, dass er nicht getan hat, was sie wollte, um sie zu ermutigen. An seiner Fakultät wurden Unterrichten meistens in Form von Seminaren abgehalten. Wenn also viele Bewerber in einer Klasse waren, war die Zeit für die Präsentation begrenzt, dann wurden Präsentationen von mehreren Studenten abgehalten, was ihm sehr neu war, denn an japanischen Universitäten waren Seminaren damals kaum bekannt. Viele Gruppen von Studenten diskutieren oft in Cafés mit Heften und Büchern in der Hand. Einmal fand er einen Papierzettel an der Tür des Klassenzimmers, auf dem stand, dass der Lehrer verhindert, zu kommen, jedoch die Teilnehmer unter sich diskutieren sollten. Yu erwartete nicht, dass sie wirklich im Zimmer bleiben und diskutieren würden. Jedoch viele fingen mit Diskussion an, was Yu imponierte. In einer Vorlesung über Logik begann eine relativ junge Lehrerin, über die Bedeutung der Logik zu sprechen, dann stellte jemand eine Frage, ob die Logik in der Realität überhaupt einen Sinn habe, was zu einem Streit mit der Lehrerin führte, und die Vorlesung endete, ohne dass der Unterricht zum Hauptthema überging.

Eines Tages unterhielt sich Yu mit Deniz in ihrem Zimmer. Dann sagte sie ihm, dass sie in der Türkei einen Verlobten hatte. Sprachlos sah er sie an. Deniz fügte jedoch gleich hinzu, dass ihre Eltern diese Entscheidung getroffen hatten, als sie noch sehr jung war, und sie habe alles lange als selbstverständlich angesehen. Es gab manchmal Briefwechsel mit ihm. Yu konnte nicht anders denken als an Pablos Situation. So sah er Deniz mit einem fragenden Blick an, denkend, warum sie es nicht schon früher erwähnt hatte. Es wäre nicht einfach, wenn es um eine Verlobung von den Eltern ginge, zumal um die türkischen Bräuche. Dies könnte vor allem für Deniz bedrohlich werden. Yu fragte mich, ob Deniz jetzt gestanden hatte, um alles, was bis jetzt zwischen ihnen geschah, ins Wasser fallen zu lassen. Deniz sah jedoch nicht besonders verlegen aus, sondern blickte Yu wieder in die Augen und erzählte ihm, dass sie ihrem türkischen Verlobten kürzlich geschrieben hatte, dass sie die Verlobung auflösen wollte, was Yu wieder mehr in Erstaunen versetzte. Wie könnte ein langjähriges Engagement so einfach aufgelöst werden? Was würde ihr Verlobter denken? Was würden seine und Deniz’ Eltern reagieren? Yu, der die Situation nicht kannte, hatte jedoch keine andere Wahl, als Deniz’ feste Entscheidung als solche zu akzeptieren. Vielleicht wollte sie sich von einer Vergangenheit lösen, die für sie ohnehin keine Rolle mehr spielte. Geschah das wegen ihm oder ging es um einen neuen Anfang ihres Lebens in Deutschland? Auf alle Fälle hatte sie ihre Entscheidung bereits getroffen. Yu wusste erneut, dass Deniz trotz noch ungewisser Beziehung zwischen ihr und Yu bereits eine Reihe ernsthafter Risiken eingegangen war. Yu musste seine Kleinmütigkeit und Gewissensbisse erneut fühlen. Und jetzt wurde ihm klar, dass sein eigenes Urteilsvermögen auf die Probe gestellt war.

Eines Nachmittags fuhren sie mit dem Fahrrad eine Landstraße entlang. In der Abenddämmerung schoben sie ihre Fahrräder auf einem Fußweg mit duftenden Wildrosen. Reflektiert von mild violetten und rötlichen Licht  der fern sinkenden Sonne sah Deniz wie eine schöne Elfe aus. Trotz der Vertiefung ihrer Beziehung und der immer komplizierter werdenden Situation, verhielt sich Deniz ruhig und mutig. Yu starrte Deniz’ dunkles Profil mit hellem Hintergrund an. Er wurde von einem starken Liebesgefühl überfallen und warf sein Fahrrad weg, umarmte sie und küsste sie. Sie überließ sich ihm und legte ihre Hände um Yus Körper. Nach einem langen Kuss ließen sie ihren Körper los. Dann sagte Deniz, dass sie daran nicht gedacht hatte. Sie schien zu versuchen, sich eine minimale Distanz von Yu zu halten, damit sie doch noch einen schlimmsten Fall vorbereiten könnte, obwohl sie den natürlichen Ablauf ihres Gefühls  ihm gegenüber kaum kontrollieren konnte. Jedoch schien sie nun beruhigt und glücklich. Yu fühlte sich, dass er mitten in seinem Leben war und alles um ihm herum verändern würde.

Die Jahreszeiten standen kurz vor dem Wechsel. Der Herbst hielt Einzug, als warte er ungeduldig auf das Ende des kurzen deutschen Sommers, Die Temperatur würde bald plötzlich fallen. Yu liebte die kühle und klare Morgenluft in Deutschland. Er fühlte sie in seine Brust eindringen und seinen Körper von innen animieren und hoffte, dass durch diese Transparenz die Zukunft sichtbar wird, die er noch nicht gesehen hatte.

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