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Anschließend fuhr Yu‘s Gruppe mit einem Bus zum jüdischen Friedhof. Im Inneren der alten Synagoge war die Geschichte des jüdischen Volkes anhand von Fotos und Dokumenten an der Wand erläutert, die in mehrere Sektionen geteilt war. Als Yu einige Bilder an der Wand fotografierte, machte er ein lautes Verschlussgeräusch. Dann rief eine weibliche Bedienstete hinter der Wand laut und barsch, wer das Foto gemacht hatte. Keiner sagte etwas. Sie schaute sich jeden Einzelnen an und ging dann weg. Yu sah sich erschrocken um, aber alle fingen an, zu bewegen, als wäre nichts geschehen. Hinter dem Gebäude befand sich ein alter Friedhof. Im Gras standen mehrere graue Grabsteine, die von der Sommersonne beschienen waren und ungepflegt und verfallen aussahen. Hier und da waren einige Grabsteine umgefallen. Es gab sogar Berichte über Grabschändungen durch Antisemiten.

Eine sozialistische Gesellschaft, die darauf abzielt, die Klassengesellschaft zu eliminieren und den Reichtum anzugleichen, sah so aus, dass sie schließlich alle dazu zu zwingen, gleich zu denken, die gleichen Meinungen zu vertreten und die gleichen Werte zu haben, einfach gesagt, Verzicht auf Freiheit. Persönliche Ambitionen jedes Einzelnen werden vom Staat kontrolliert  und die einzige Möglichkeit, voranzukommen, hängt  von der Partei ab. Für Yu schien dies keine sehr hoffnungsvolle Gesellschaft zu sein. In einer kapitalistischen Gesellschaft tendiert man oft miteinander zu konkurrieren, und oft ergibt sich eine Welt der Schwachen und der Starken. Schließlich würden die Schwachen von den Starken beherrscht und die Ausbeutung durch die wenigen Starken würde beginnen, was endlos so weitergehen könnte. Jedoch, ein perfektes System zu schaffen, das die Kluft zwischen Arm und Reich beseitigt und alle Menschen gleich macht, sah auch unnatürlich aus, weil es letzten Endes eine Regierung mit starker politischer Macht notwendig sein würde, die die Menschen nach bestimmten Kriterien zuteilen und ihnen einen bestimmten Lebensstil zwingen würde. Dort würden die individuellen Gefühle nicht mehr berücksichtigt. Die Menschen fühlen unzufrieden und wollen solche Verhältnisse  nicht akzeptieren. Die Regierungen müssen daher diktatorisch werden, um ihre eigene Politik durchsetzen zu können. Nur so könnte die Gesellschaft aufrechterhalten werden.

Was ist Gleichheit , dachte Yu. Fühlt man sich glücklich, eine gleiche Kleidung zu tragen wie andere, in einem gleichen Haus zu wohnen wie die anderen? Würden die Menschen nicht gerne mehr Einkommen haben, selbst wenn es nur um einen Pfennig ist? Es reicht nicht aus, irgendeinen Job zu haben. Aber es wäre auch fast unmöglich für die Regierung, Arbeitsplätze nach den Wünschen der einzelnen Personen zu schaffen. Das liegt daran, dass jeder Arbeitsbereich nur in einem bestimmten Verhältnis mit der Gesellschaft steht. Eine Gesellschaft, in der Künstler die Mehrheit der Gesellschaft ausmachen, wäre wirtschaftlich unmöglich und würde scheitern.  Die Gleichheit würde nicht bedeuten, gleiche Dinge zu besitzen, sondern Gleichheit wie andere Mitglieder in der Gesellschaft zu genießen oder Hoffnungen zu haben, dass eigene Wünsche irgendwann können verwirklicht werden. Es geht  um die Würde jedes Einzelnen. Selbst wenn ein Traum in einer freien Gesellschaft nicht in Erfüllung gehen würde, wäre es keine Niederlage. Es kann sein, dass das Ziel selbst nicht richtig eingestellt war. Die Menschen sind vielleicht nicht nur für ein einziges Ziel geboren worden, solange man Freiheit hat.

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