Anfang 20

Die Deutschen lieben Reisen. Im Frühjahr denkt man bereits an den nächsten Urlaub. Für internationale Studierende, die aus finanziellen Gründen einfach nicht reisen können, sind die Sommerferien oft langweilig. Die Universität nahm jedoch eine Rücksicht auf sie. Das Auslandsamt der Uni hatte schon eine Vielzahl von Veranstaltungen für ausländische Studierende angeboten. Zu Beginn der Sommerferien organisierte die Universität für die Studierenden eine Busreise nach Ostdeutschland, die Besichtigungen in verschiedenen Städten und vor allem Begegnungen mit jungen Ostdeutschen beabsichtigte. Rund fünfundzwanzig Leute wollten daran teilnehmen. Neben deutschen Studierenden meldeten sich auch die Studierenden aus Afrika, der Türkei, Griechenland, Spanien, China und Südkorea an. Unter der Leitung eines Zuständigen des Auslandsamtes fuhr der Bus früh am Morgen ab. Da es sich nur um Vollzeit-Studierende handelte, blieb seine Frau zu Hause. Der Bus fuhr über die Autobahn in die endlose ländliche Landschaft. Unterwegs machte der Bus einige Pausen. Man kaufte Snacks und Getränke und unterhielt sich pausenlos miteinander. Für die meisten ist die Reise eine seltene Gelegenheit, andere Teile des Landes zu sehen.

Vor allem Ostdeutschland war für die meisten ein völlig unbekanntes Land, obwohl das Land aus den Deutschen besteht. Es war bekannt, dass es ein autokratischer Polizeistaat war, aber auf der anderen Seite gab es in Japan immer noch Menschen, die das Land als eine ideale Welt ansahen und tatsächlich gab es eine Freundschaftsorganisation zwischen japanischen und ostdeutschen Forschern, in der gerne die Nationalhymne von Ostdeutschland gesungen wurde.

Der Bus fuhr durch die Stadt Kassel und kam nach weiteren drei Stunden endlich an der ostdeutschen Grenze an. Yu war aufgeregt und nervös wegen der Seltenheit des Ortes, besonders der Einreisekontrolle. Die Stadt sah schon von da an ganz anders aus. Obwohl die Sonne schien, sahen alle Gebäude der Stadt farblos, wie ein Gemälde, das seit Hunderten von Jahren in einem Lagerraum vergessen war. Durch die Fenster war kein Innenlicht zu sehen. Die Wände der Gebäude sahen verrußt aus und es lief kein Mensch herum. Manchmal waren Autos zu sehen, aber das waren fast nur Trabis und manchmal Warburgs. Als der Bus von Eisenach kommend in die Stadt Erfurt einfuhr, sah man ein großes Loch direkt über dem Dach eines tristen, dunkelgrauen Stadthauses. Jemand sagte, dass die Bombenschäden aus dem Krieg aufgrund der angespannten Finanzlage noch immer nicht behoben waren. Yu fühlte sich, als sähe er einen Film, der vor Jahrzehnten gedreht wurde.

Obwohl Ostdeutschland Deutschland genannt wurde, war es eine völlig andere Welt. Yu fragte sich, was für Menschen dort lebten und wie sie lebten, aber daran denkend fühlte er sich bereits bedrückt. Schließlich kam der Bus an einem Gebäude an, das wie eine Jugendherberge aussah, wo man tatsächlich ihr Gepäck ausladen und duschen sollte. Alle waren von der langen Busfahrt verschwitzt. Einige von Studenten betraten den Duschraum und begannen, sich auszuziehen. Halb im Scherz fragte der Zuständige des Auslandsamtes eine spanische Studentin, ob sie sich ihnen anschließen wolle. Die Studentin zögerte nicht, zog sich aus und ging in die Herrendusche. In Deutschland gibt es nicht nur Männer- und Frauendusche, sondern auch Dusche für Männer und Frauen an den Universitäten, so dass es für sie vielleicht keinen großen Widerstand gab. Yu hatte so etwas jedoch noch nie erlebt und schaute die Studentin blitzschnell an, während die anderen Männer duschten, als wäre nichts geschehen, und sich jeder für sich unterhielt.

Einer der Höhepunkte der Reise sollte der Meinungsaustausch mit den Jugendlichen der Freien Deutschen Jugend (FDJ) sein. Am nächsten Tag fuhr der Bus in die ehemalige Hansestadt Rostock, mit Blick auf die Ostsee. Die Studenten und Studentinnen wurden in eine Art Jugendherberge untergebracht, die eigentlich ein Schiff am Hafen war.  Nach dem Abendessen waren sie in einen Konferenzraum gebracht und sie setzten sich am Tisch FDJ Leuten gegenüber. Diese Jugendlichen sahen nervös aus. Sie begannen sich vorzustellen. Nachdem der Jugendvertreter seine Rede, Wort für Wort, offensichtlich im Einklang mit der Parteipolitik gehalten hatte, gaben andere Personen kurze Kommentare ab. Als die Studierenden aus dem Westen anschließend eine Reihe von Fragen zum politischen System und anderen Themen stellten, erhielten sie von der Seite der FDJ-Jugendlichen nur knappe Antworten. Das Gespräch kam nicht sehr weit voran. Dann begann ein Doktorand aus Afrika provokante Fragen zu stellen und sagte, dass sie ohnehin nur offizielle Meinungen äußern dürfte. Er hatte am Tag zuvor prognostiziert, dass eine solche Entwicklung eintreten würde. Viele westliche Teilnehmer, darunter auch ausländische Studenten, wussten jedoch von Anfang an, dass die FDJ-Jugendlichen von jemanden beobachtet würden und ihre Meinung nicht frei äußern könnten. Sie schienen sehr ungemütlich. Die Diskussion endete in einer peinlichen Stimmung. Die Jungen aus dem Osten verließen den Raum wie erleichtert.

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